Tatort: Bochum-Dahlhausen, S-Bahn-Haltepunkt
All die Jahre hatte Endrulat wie die Spinne im Netz gesessen und gewartet. Nun waren sie endlich da. Sie waren alle drei zusammen gekommen, in einem weinroten Opel Vectra, der offenbar Eisele gehörte. Zumindest war Eisele gefahren.
Früher oder später mussten sie kommen, das hatte Endrulat immer gewusst. Die kleinen Artikel über seine Lesungs- und Musik-Abende, die von Zeit zu Zeit in der WAZ und auf derwesten.de erschienen, konnten ihre Wirkung einfach nicht verfehlen. Und selbst wenn ihnen die Artikel entgangen waren, mussten sie doch auf eine der Werbeanzeigen stoßen. Dafür sorgte allein schon der fett gedruckte Name »Rheingold«, der ihnen sicher ihr Lebtag nicht mehr aus dem Kopf gehen würde.
Nicht umsonst hatte Endrulat den Bahnhof in Dahlhausen als Ort seiner Vergeltung gewählt. Hier lag das Eisenbahnmuseum in der Nähe, was ihm nicht nur das Interesse der Ausflügler sicherte, sondern auch den Kontakt zu all den Tüftlern und Bastlern dort, die ihm bei Bedarf gern zur Hand gingen. Hierher hatte er den ausrangierten Salon-Wagen schleppen lassen auf die stillgelegten Gleise hinter dem hübsch renovierten alten Bahnhofsgebäude, in dem Emilia ihre Kneipe eröffnet hatte.
Hier in der vorstädtischen Beschaulichkeit von Bochum-Dahlhausen war Endrulat nach und nach über den Verrat und den Verlust seiner Jugend hinweggekommen, denn hier hatte er das Netz gesponnen, in dem er die Verräter fangen und richten würde.
Er hatte den roten Vectra vorn auf dem Parkplatz erst gesehen, als sie ausgestiegen waren, deshalb konnte er nicht sagen, ob sie aus Bochum gekommen waren oder über die Kassenberger Straße von Eppendorf herunter. Brückner und Eisele hatten sich kaum verändert. Beide waren ein wenig in die Breite gegangen, Eiseles Haare waren etwas spärlicher und Brückners einst pechschwarze Locken leicht angegraut, ansonsten schienen mehr als zwei Jahrzehnte fast spurlos an ihnen vorüber gegangen zu sein. Nur Jähnig sah aus wie der leibhaftige Tod.
weiter in: Hängen im Schacht
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Der Autor:
Wolfgang Kemmer, geboren 1966 in Simmern / Hunsrück, studierte Germanistik, Anglistik und Angloamerikanischen Geschichte in Köln und schrieb seine Abschlussarbeit über »Die produktive Rezeption der amerikanischen hard-boiled school im deutschen Kriminalroman«. Er arbeitete als Lektor und ist heute freier Autor und Redakteur. Als Autor veröffentlichte er zuletzt den historischen Kriminalroman »Feuersbrunst« und als Herausgeber die Sammlung »In Kürze verstorben«.
Geschlossen
vor 11 Jahren
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