Montag, 14. September 2009

Oliver Buslau:
Die Wupper-Stradivari

Tatort: Wuppertal, Stadthalle

Als André in die Garderobe zurückkehrte, leuchtete ihm die blutrote, sanft geschwungene Samtaussparung des Geigenkastens wie eine offene Wunde entgegen. Ein Schock durchfuhr ihn, sein Herz hämmerte ein wildes Stakkato. Er war nur für einen Moment auf die Bühne gegangen, hatte kurz mit dem Konzertmeister den Soloeinsatz besprochen …
Die Violine war verschwunden. Seine Wupper-Stradivari. Sie war gestohlen worden. Eine andere Erklärung gab es nicht.
André brach der Schweiß aus. Vielleicht war der Täter noch in der Stadthalle. Er musste zum Pförtner. Alles abriegeln lassen. Die Polizei verständigen.
Im selben Moment setzte bombastische Musik ein. Eine dramatische Stelle aus dem Violinkonzert von Johannes Brahms. Andrés Handy-Klingelton.
Er drückte den Knopf, während er hinaus auf den Flur stolperte. Der Hausmeister saß sicher in seiner Loge am Bühneneingang. Er hastete über den Gang, das Handy am Ohr. »Ja, was?«
»André, wie schön, dass du rangehst.«
»Ich habe jetzt keine …«
Er stolperte um die die Ecke. Die Loge war leer.
»Du vermisst etwas, oder?«
Das Blut pulste in seinen Adern und sorgte für ein hämmerndes Echo in seinen Ohren.
Die Stimme. Er kannte sie. Es war lange her …
»Sei in einer Viertelstunde auf dem Brill.«
Was war das? André lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Er musste sich konzentrieren.
»Was… wollen Sie Geld?«
»Geld?« Die Stimme brach in keuchendes Lachen aus. »Geld … oh, André. Dass ihr jungen Leute immer nur daran denken könnt!«
»Was wollen Sie dann?«
»Sei pünktlich.«
»Hallo? «
Der andere hatte aufgelegt.

weiter in: Hängen im Schacht

Der Autor: Oliver Buslau, geboren 1962 in Gießen, studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Köln und Wien und lebt als freier Redakteur und Autor in Bergisch Gladbach. Im Mittelpunkt von sechs der neun Kriminalromane, die er bisher veröffentlichte, steht der chronisch abgebrannte bergische Privatschnüffler Remigius Rott. Zuletzt erschien »Die fünfte Pasion« (2009)
Foto: Felix Mayr

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