Dienstag, 1. September 2009

Jürgen Banscherus:
Kalt

Tatort: Bochum, nahe Haus Kemnade

Ein Winter wie ewig nicht mehr. Seit Wochen liegt das Ruhrgebiet unter einer dichten Schneedecke. Tagsüber steigt das Thermometer nicht über Null, nachts fegt der Ostwind über leere Autobahnen. Die Streudienste fahren Sonderschichten, die Kraftwerke arbeiten am Limit. Wer nicht unbedingt hinaus muss, tut gut daran, zu Hause zu bleiben.
Der Hauser spürt seine Füße kaum mehr, die bloßen Hände sind steifgefroren. Verdammt kalt, denkt er. Niemand sollte bei zehn Grad unter Null in einem Rohbau ohne Türen und Fenster liegen. Da holst du dir den Tod.
Wobei, geht es dem Hauser durch den Kopf, während er hört, wie sich ein Auto durch den Schneematsch den Berg hinauf kämpft, der Satz eigentlich nicht stimmt. Eigentlich ist es umgekehrt. Der Tod holt dich. In einem Haus ohne Fenster und Türen hat er leichtes Spiel.
Der Rohbau steht zwischen Kemnader und Ümminger See auf einer Kuhweide oberhalb eines Bachlaufs. Der Bach ist zugefroren, der Hauser hat ihn gestern fotografiert, ein schönes Bild. Die Sonne schien, der über Weihnachten gefallene Schnee knirschte Gänsehaut auf Arme und Rücken.
Der Hauser hat auch Bilder vom Rohbau gemacht, dem glotzäugigen Kasten, dem dreimal verfluchten. Hat ihn wie so oft eingefangen in seiner jeden Rahmen sprengenden Hässlichkeit. Ein Faustschlag ins Auge der Natur.
Verdammt kalt, denkt der Hauser. Schon wieder. Irgendwann wird er nichts anderes mehr denken können als diese bei den Wörter. Dann hat der Sommer endgültig gewonnen, das Dreckschwein, das elende.
Der Hauser versucht sich zu bewegen. Dreht sich ein paar Zentimeter von der unverputzten Wand weg. Die Handgelenke und Füße haben sie ihm mit demselben silbernen Klebeband gefesselt, mit dem sie ihm auch Mund und Augen verschlossen haben. Er hat die Fesseln zu zerreißen versucht, stundenlang hat er gekämpft, ohne Erfolg. ...
Das Weideland, auf das früher die Kühe eines Bauern aus der Nähe des Golfplatzes Lottental getrieben wurden, gehört jetzt dem Sommer. Seit langem will der Kerl es aufteilen und die Parzellen an Bauwillige verkaufen, will die Fläche mitten im Naherholungsgebiet zwischen Hattingen, Witten und Bochum zu Geld machen. Von zwanzig Millionen sprechen die Leute, einige sogar von dreißig.


weiter in: Hängen im Schacht


Der Autor:
Jürgen Banscherus
, geboren 1949, war unter anderem Journalist, Mitarbeiter in der Forschung, Lehrer und Verlagslektor, ehe er freier Schriftsteller wurde. In den letzten 25 Jahren veröffentlichte er zahlreiche Kinder und Jugendbücher, für die er unter anderem mit dem Literaturpreis Ruhrgebiet(1997), dem Berliner Kinderkrimipreis EMIL (2001) und dem Hansjörg Martin-Preis (2006) ausgezeichnet wurde. Seine bekannteste Figur ist der kaugummikauende und Milch trinkende Detektiv Kwiatkowski.

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