Donnerstag, 10. September 2009

Karr&Wehner:
Der Beifahrer

Tatort: auf den Straßen

»Geh vom Gas!«
»Ist doch frei!« Der Junge späht in den Rückspiegel. Auch hinter ihnen ist die Autobahn wie leergefegt.
Der Alte zeigt nach vorne. »Hinter der Brücke stehen sie.«
Der Junge nimmt den Fuß vom Pedal, schaltet einen Gang tiefer, dass der Motor des Sprinters aufheult. Der Plüschaffe am Spiegel baumelt hin und her.
»Stehen bleiben brauchst du nicht gleich«, knurrt der Alte.
Der Wagen rumpelt über die Teernähte der Brücke. Windböen springen übers Geländer. Die Sturmsäcke am Brückenkopf blähen sich. Der Junge muss gegensteuern. Der Affe torkelt.
Am Ende der Rheinbrücke lauert dann tatsächlich die Kamera auf dem Randstreifen, vierhundert Meter weiter ist die Kontrollstelle. Hinter den Büschen sieht er ein paar Blausilberne und den Kombi, in dem sie die Anzeigen schreiben. An der Ausfahrt hockt ein Bulle im Lederkombi auf einem schweren Krad und blickt ihnen nach.
»BMW. Bin ich früher auch gefahren.« Der Alte schwenkt seinen leeren linken Jackenärmel. »Dann bin ich abgeschmiert. Hammerstraße, kurz vor Haus Scheppen.«
Der Junge gähnt, ihm steckt der Tag in den Knochen. Seit halb sechs sind sie unterwegs. Der Tageskilometerzähler nähert sich der 500 - Essen, Wesel, Kleve, Emmerich - den halben Niederrhein rauf und wieder runter. Mehr als ein Dutzend Imbissbuden, Pizzerien, Schicki-Micki-Bistros, Afterwork-Läden und ein Chinamann haben auf der Liste gestanden - jeder, der einen Wartungsvertrag hat bei Kühltheken-Kubitzki – Zubehör & Reinigung & Wartung. So prangt es auf den Seitenteilen des Sprinters und auf den Visitenkarten und dem ganzen Papierkram im Handschuhfach. Hinten auf der Ladefläche klappern ihre Geräte und gluckert der Flüssigreiniger in den Kanistern.
Das Handy des Alten summt. Er fischt es mit der Rechten aus der Jackentasche, mustert die SMS und steckt es wieder weg. Der Kolben der Pistole in seinem Hosenbund glänzt. Der Junge zwingt sich, auf den Affen am Spiegel zu starren. Sein Plüschfell ist verblichen, der Schwanz abgegriffen und auf dem Bauch hat er einen dunkelbraunen Fleck, dort, wo er im Blut gelegen hat.

weiter in: Hängen im Schacht

Die Autoren:
Karr & Wehner, geboren 1955 und 1949 in Saalfeld und Werdohl, leben im Ruhrgebiet und schrieben bisher zahlreiche Storys, Hörspiele und die »Gonzo«-Thriller »Geierfrühling«, »Rattensommer«, »Hühnerherbst« und »Bullenwinter«. 1996 erhielten sie den Friedrich-Glauser-Preis für den besten Krimi des Jahres und 2000 den Literaturpreis Ruhrgebiet.

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